Verbotene Früchte. 
Sonntag, Oktober 30, 2005, 21:30 - SPURENSUCHE





Hotel Angst, Oktober 2005.
Hotel Angst. 
Samstag, Oktober 15, 2005, 16:24 - SPURENSUCHE
Unser Mann – nennen wir ihn Frederick Fitzroy Hamilton – kam 1904 in Bordighera an, verfolgte den eleganten Flug einer Silbermöwe und bezog eine Suite im komfortvollen Grandhotel Angst, wo es stets Warmwasser gab, einen Kutschenbahnhof und eine Hotelbibliothek.
Man lebte in jenen Tagen in Bordighera inmitten herrlich wilder Terrassen mit 50000 Olivenbäumen, genoss den Duft des nachtaktiven Jasmins, der afrikanischen Tamarisken und der die Luft parfümierenden Orchideen, und am Ende des Dorfs war ein kleiner Fischerhafen, zu dem ein schmaler Weg aus der Altstadt führte.

Hamilton war aus London angereist. Wie so viele hatte auch er Il Dottor Antonio gelesen, jenen Roman des Chevaliers Giovanni Ruffini, der ihn und seine Landsleute sinnlich derart erregte, dass sie sehnsuchtsvoll, das Buch im Gepäck, in Richtung Süden aufbrachen, einem Stück reiseliterarischer Romantik auf der Spur, das sich wie folgt zusammenfassen lässt: Im herrlich hellen Frühling des Jahres 1840 kommt eine von vier Pferden gezogene Kutsche die Grande Corniche entlang, in der Kabine zwei englische Touristen, Sir John Davenne und seine Tochter Lucy. Doch, ach, die Kutsche bricht in Bordighera, Miss Lucy ist verletzt, und zur Hilfe kommt: der schöne Dottore.
1857 in London publiziert, wurde das moderne Märchen schnell zum Bestseller und die Blumenriviera zum Symbol des botanischen Elysiums, wo die Dattelpalmen nicht der Früchte, sondern der Schönheit ihrer Blätter wegen angebaut wurden. Zu Tausenden machten die fernwehgeschmerzten Briten fortan auf der neu eröffneten Eisenbahnlinie dort Halt, wo die Natur das Bel Paese bis heute am meisten verwöhnt: in Bordighera, im Angesicht des ligurischen Apennins und der schneebedeckten Kappen der französischen Seealpen. Dort verbrachten die aus der nassen Kälte des Nordens stammenden Insulaner lange, schöne, milde Wintermonate.

Oben, im Hang, an der Via Romana, träumen wir hundert Jahre später, muss Fitzroy Hamilton einst gewohnt haben, verliebt in den zarten Leichtsinn des Südens, in die Quirligkeit junger Eidechsen und das Karminrot der Gladiolen. Wir sehen hinauf, wo Bordigheras Grandhotels noch immer posieren, und je weiter hangaufwärts wir blicken, desto fresken- und stuckfassadenreicher inszenieren sich die von herrschaftlichen Parks umgebenen Jugendstilvillen aus der Glanzzeit des Ortes, Häuser einer großen Vergangenheit, in denen heute meist kleine Appartements untergebracht sind. Die Villa Sainte Odile, von Zitronenbäumen gesäumt; die Villa San Silvestro, mit gelb-weiß gestreiften Markisen. Die grandios verfallende Villa Angst mit ihrem arg verletzten Stolz, den verrosteten Eisengittern und nistenden Amselfamilien, dem Plastikmüll und den ungeschnittenen Palmen aber steht leer und einsam, vernarbt die Fassade, verwahrlost die Seele. Die Belle Epoque prächtelt dahin in der späten Moderne. Aristokratische Haltung, will es scheinen, stilistische Noblesse: tempi passati. Und am Eisengitter der Villa Angst kuscht ängstlich eine den Niedergang beweinende Katze, bevor der Straßenkehrer sie verscheucht.

Der Lungomare Argentina, die Seepromenade, gehört den Bladern, Skatern, Gauklern und Joggern. Der Strand ist liegestuhlverwaltet, alles ist sauber und ausgesprochen ordentlich. Es knattern die Piaggios, und tief schnaufen die vorbeifahrenden Züge, und in den Hollywoodschaukeln wippen gebräunte Signori in Trainingsanzügen. Auf dem Balkon des Piccolo-Lido-Hotels sitzend, den Blick aufs klare Wasser mit den himmelwärts drängenden Motoryachten, sehen wir die gelben und blau-weiß gestreiften Sonnenschirmmützen, die wie glückliche Pilze zwischen heißen Steinchen stecken, und wir hören die wendigen, fontänensprühenden Jet-Ski-Renner und das anbrandende, in den schmatzenden Grobkiesel krabbelnde Meer. Dann schließen wir die Augen und stellen uns aufs Neue Frederick Fitzroy Hamilton vor, wie er, als einer von 3000 Untertanen der Queen in Bordighera, über das dunkle, mit Intarsienmosaiken versehene Fischgrätenparkett seines Grandhotels stolziert, sich in die roten Plüschpolster der dreiteiligen Couch setzt, vor Gardinen mit buschigen roten, grünen und weißen Troddeln. Und wie er dann, vorbei am gelben Ginster, den roten Geranien, den Pfirsich- und Eukalyptusbäumen, hinabgeht in den Vorgarten mit den Heckenrosen, um auf der Viale Regina Elena, dem heutigen Corso Italia, zu spazieren, eine Tasse Tee zu trinken und am späten Nachmittag, gewiss im neckischsten Badeanzug, genau hier, neben unserem Hotel, am Capo Sant’Ampelio, ins Mittelmeer zu steigen.

1904 ist Bordighera eine Art Paradies der Engländer. Alles ist englisch, alles auf Engländer ausgerichtet, und alles kommt von der Insel, sogar die Spaghetti, die, wie sich ein damaliger Beobachter mokiert, »kalt serviert« werden. Es gibt englische Ärzte, englische Makler, Schafwollprodukte aus Yorkshire, es entstehen die ersten Lawn-Tennis-Clubs. Alles gedeiht zum Besten, und das Dorf ist auf dem Weg, zu einer neuen Perle des frühen internationalen Tourismus zu werden. Dann aber, warum auch immer, schränkt die italienische Regierung die Glücksspielkonzessionen des Landes ein und limitiert den erlaubten Einsatz auch im sieben Kilometer entfernten Casino von San Remo, was eine Einladung zur Auswanderung war, die ein paar zu jener Zeit nicht sehr bedeutende Orte an der benachbarten Côte d’Azur gern annahmen: Nizza und Monte Carlo hießen sie, und hier durfte allzeit so viel Geld verloren werden wie möglich. Es kam das britische Pfund an die Côte, Libertinage und Champagnerlust, und mit Grace Kelly kam Hollywood, mit Hollywood der Jet-Set, und Bordighera fiel, ohne müde zu sein, in einen lähmenden Schlaf.

Heute ist die Kleinstadt gänzlich unenglisch. Bordigheras Seele ist ligurisch. 11000 Menschen leben ohne Aufwand. Die Fischerdorfromantik hat den Fortschritt überstanden, nachts, unterm halben Mond, trawlen küstennah die Fischkutter, deren Gambas, Octopuskinder, Miesmuscheln und Seewölfe die Mamas in den Ristoranti der Altstadt am nächsten Tag auftischen werden. Aus den Bars am Lungomare Argentinia schmalzt der Italopop von Tiziano Ferro, »non me lo so spiegare«. Kein Hupen, vielmehr Gelassenheit.
Der Lungomare ist eine inneritalienische und keine globalisierte Promenade, mit Café-del-Mar-Chill-out und den Ingredienzen des kosmopolitischen Touristen-Lifestyles. Das Flaniermeilchen ist, wie Bordighera selbst, unspektakulär, zur Ruhe zwingend, gefällig. Leider hat man die Promenade unschön asphaltiert, und manchmal haftet ihr etwas Kurorthaftes an, eine merkwürdige Abwesenheit von Glanz und Jugend, morbider Muff in sozialistisch anmutender Betonarchitektur aus den frühen und späten fünfziger und sechziger Jahren, als das Städtchen gewaltsam wieder zur Geltung kommen wollte und es nicht mehr schaffte – aus der Riviera-Bohème war die Côte-d’Azur-Mondäne geworden.
Der einstige »Winterort der Zukunft« hat gegen den Zeitgeist verloren, der sich nizzanischen Chic wählte statt britisch-ligurischer eleganzia. Dem Glamourversprechen Mentons oder Saint-Tropez’ westlich und der Dekadenz Portofinos östlich hat Bordighera nichts weiter entgegenzusetzen als den Charme des Uncharmanten. Es will gar nicht charmant sein. Es ist es selbst. Vor dem ruinierten Cinema Teatro Zeni, dort, wo wir einen Mann namens Fitzroy Hamilton in unseren Träumereien flanieren lassen, sieht und hört man, während sich über Monaco die Sonne senkt, die schnatternde Jeunesse dorée des ligurischen Kleinbürgertums. Man folgt dem eleganten Flug der Silbermöwen, riecht den Jasmin und den Duft der Macchia und gestattet sich, zum letzten Sprühen der Strandduschen, ein bisschen Betörung. Es ist die Symphonie eines Sommers, wie er wahrhafter nicht sein könnte.

Text: Christian Schüle, "Ein Hauch von Jasmin", DIE ZEIT Nr. 30/15.07.2004.
Paradiesische Kulisse. 
Samstag, Oktober 15, 2005, 15:53 - SPURENSUCHE








Hotel Angst, Bordighera. Oktober 2005.
Beutestück. 
Mittwoch, September 14, 2005, 23:56 - SPURENSUCHE
Eines der wenigen noch erhaltenen Objekte, die von der Existenz des früheren Grand Hotels zeugen. Das meiste ist verschwunden oder zerstört.


La sera... 
Montag, August 8, 2005, 20:00 - SPURENSUCHE

Unterschriftensammlung. 
Montag, August 8, 2005, 19:03 - SPURENSUCHE
Das Unmögliche - die Rettung vor der endgültigen Schliessung - wenigstens versuchen.

Interessenten erhalten von mir jede Menge Unterschriftenbogen.

"Wer vom Bahnhof... 
Sonntag, August 7, 2005, 08:51 - SPURENSUCHE
... in Locarno zur Altstadt hinuntergeht, kommt nach wenigen Schritten an einer Passage vorbei, in welcher junge Leute in farbigen Mützen und T-Shirts sitzen, vor sich Kartonschachteln mit Pommes frites und Becher mit Coca-Cola. Die metallenen Tische und Stühle sind über verschiedene Stufen verteilt, die nicht ganz zur Fast Food-Stimmung passen, und wer genauer hinsieht, merkt auch, warum. Es sind die Stufen, die zum Garten des alten Grand Hotels hinaufführen, zum GRAND HOTEL LOCARNO, das wie der Traum einer andern Zeit im Hintergrund steht, umgeben von Zypressen, Palmen und üppigen Rhododendronbüschen, mit seiner mächtigen Mittelterrasse, auf der zwischen Säulen mit Blumenschalen Figuren zu Stein erstarrt sind, als sei soeben die Tanzmusik eines Kurorchesters zu Ende gegangen. Wollen Sie weitergehen zur Piazza Grande, oder haben Sie einen Moment Zeit, eine Geschichte zu hören, die in diesem Hotel ihren Anfang genommen hat? Erfahren habe ich sie in einem Gebäude, das aus derselben Zeit stammt und dem Grand Hotel nicht einmal unähnlich sieht, einem Altersheim in einem der Täler hinter Locarno. Etwas bescheidener der Bau, der Mitteltrakt hinter zwei Ecktürme zurückversetzt, mit einem großen gepflasterten Platz davor, der in eine Glyzinienpergola mündet, aber oben, wo in Locarno der Name des Hotels in auswechselbaren Leuchtbuchstaben prangt, steht beim Altersheim in unvergänglicher Mosaikschrift der Name des Stifters. In dieses Altersheim führte mich letztes Jahr eine private Angelegenheit. Der Kanton Tessin hatte begonnen, die Parzellierung der unzähligen Grundstücke zu vereinfachen und den Besitzern Vorschläge zur Zusammenlegung oder zu Abtäuschen zu machen, und da ich auf einer Alp ein kleines Stück Land mit einem Stall besitze, in dem wir gerne ein paar Sommertage verbringen, kam auch an mich eine solche Anfrage, und ich beschloß, den Besitzer des Nachbargrundstücks aufzusuchen. Der lebte seit kurzem in diesem Altersheim, wir kannten uns, und er freute sich über meinen Besuch, klagte über sein abnehmendes Augenlicht und über seine Zuckerkrankheit, die ihm in die Beine fahre, so daß er kaum mehr gehen könne, kurz, über das ganze zusammenbrechende System seines Körpers, für das man auch das einfache Wort Alter benutzen kann. Er war mit dem Landabtausch, den ich ihm vorschlug, ohne weiteres einverstanden, fragte nach dem Zustand der Quelle, des Baches und der alten Kastanienbäume und erzählte mir von den Zeiten seiner Kindheit, als es im Dorf noch 600 Stück Vieh gab, von denen in unseren Tagen nicht einmal eine einzige Kuh übrig geblieben ist. Während unseres Gesprächs lag sein Zimmernachbar regungslos, mit halb geöffnetem Mund im Bett und ließ nur von Zeit zu Zeit ein leises Stöhnen hören. Als ich ihn einmal fragte, wie es ihm gehe, reagierte er nicht. »Er hört nichts mehr«, sagte mein Bekannter, »er ist bald hundert, und ich glaube, er will schon lange sterben, kann aber nicht.« Wir fuhren mit unserm Gespräch fort, und ich fragte, ob es früher auch schon Wildschweine gegeben habe am Hang oben, da hob sein Bettnachbar den Kopf und sagte: »Un giorno vanno trovare la torta.« »Eines Tages werden sie die Torte finden«, und ließ seinen Kopf wieder sinken. Mein Bekannter lächelte und sagte, das sei das einzige, was der arme Kerl noch sage, und sie nennten ihn deswegen nur »la torta«, ein Spitzname, mit dem er bereits ins Pflegeheim gekommen sei und den er offenbar in seinem Dorf ein Leben lang getragen habe. Aber was der Grund dafür sei, wisse niemand, und es kämen auch keine Familienangehörigen zu Besuch, die man fragen könne. Ich trat zum Bett des Alten, beugte mich über ihn und fragte: »Dove vanno trovare la torta?« »Wo werden sie die Torte finden?« Ohne die Augen zu öffnen, sagte er: »Nel lago.« »Im See.« Ich fragte meinen Bekannten, ob er auch gelesen habe, daß die Seepolizei kürzlich im Lago Maggiore bei einer Suchaktion nach einem Ertrunkenen im Bodenschlamm eine große Blechschachtel mit der Aufschrift "GRAND HOTEL LOCARNO" gefunden habe, in welcher verrostete Zünder gewesen seien, die zu einer Ladung Dynamit gehört haben könnten, und dass ein Rätselraten um diesen Fund entstanden sei.
Kaum hatte ich dies gesagt, fuhr der Alte in seinem Bett hoch, riss die Augen weit auf und (...)

Ausschnitt aus: Franz Hohler, "DIE TORTE". Luchterhand Literaturverlag. ISBN 3-630-87151-8
Hotel Angst. 
Freitag, Juli 29, 2005, 17:51 - SPURENSUCHE
Auch wenn dies hier eher die Art von Grand Hotel ist, in welchen ich zu Gast bin, so möcht' ich doch dem GRAND HOTEL in LOCARNO, das Ende Jahr (wie hier bereits mehrfach erwähnt) seine Pforten endgültig schliessen muss, ein solches Schicksal überhaupt nicht gönnen!
Dieser Link führt zur Geschichte des Hotels ANGST, zu einer der "prächtigsten" Hotelruinen an der ligurischen Küste; seit Jahrzehnten im Dornröschenschlaf.
Les nuits qu' on passe à l'Hôtel Grande. 
Freitag, Juli 29, 2005, 17:41 - SPURENSUCHE
Tonight we sleep on silken sheets
We drink fine wine, and eat rare meats
On Carrousel and gambling stake
Our fortunes speed, and dissipate.
It's candle light and chandelier,
It's silver plate and crystal clear.
It's serenade and Sarabande
The nights we stay at Hotel Grande.

Tonight we dine at Hotel Ritz.
(A golden dish with every wish).
It's mirrored walls, and velvet drapes,
Dry champagne, and bursting grapes.
Dover sole, and Oeufs Mornay,
Profiteroles and Peach Flambé,
The waiters dance on finger tips
The nights we dine at Hotel Ritz.

One more toast to greet the morn
The wine and dine have danced till dawn.
Where's my Continental Bride?
We'll Continental slip and slide.
An early morning pinch and bite -
(These French girls always like to fight)
It's serenade and Sarabande,
The nights we stay at Hotel Grande.
Les nuits qu' on passe à l' Hôtel Grande.
Ende. Aus. Amen. 
Donnerstag, Juli 28, 2005, 10:50 - SPURENSUCHE
Wie vor kurzem an dieser Stelle bereits ahnungsvoll angedeutet - Ende Jahr ist es im Grand Hotel Locarno nun leider tatsächlich soweit, wie ich der NZZ vom 22.07.2005 entnehme:
Das Grand Hotel schliesst definitiv seine Tore. "Der Mietvertrag wurde auf Ende Jahr aufgelöst, das Hotel geht zu", sagt der Gerant Urs Zimmermann. Was aus dem 130 Jahre alten Luxushotel wird, dessen beste Zeiten längst verflossen sind, ist noch ungewiss. Vielleicht versinkt es in seinem Park zunächst einmal in einen Dornröschenschlaf. (...) "Wenn das Grand Hotel wirklich zugeht, raubt dies dem Filmfestival von Locarno die Seele", sagt Marco Solari, der Präsident des Festivals. Denn hier wurde es geboren, und von hier strahlte es auf Locarno aus. Bis heute ist das Grand Hotel nach Solaris Worten "eine lebendige Kulisse des Filmfestivals."
Am 6. November 2005 ist Schluss.

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