Wer so schreibt, hat mich gewonnen.  
Sonntag, Juli 25, 2004, 12:55 - BÜCHER
(...) Er ging mit ihr zum eisernen Gartentor, das man nur aufkriegte, wenn man es zuerst nach oben riss, dann erst konnte man es zu sich herziehen. Auch kreischten die Angeln, weil Gottlieb vor lauter Sitzenmüssen nie dazu kam, sie zu ölen. Sie blieb stehen, hob Kopf und Schultern, als stünde sie unter der Dusche, und sagte mit ihrem dabei sich ganz langsam öffnenden Mund: Toll. Gottlieb blieb nichts anderes übrig als zu fragen: Was? Das Kreischen, sagte sie, so schön, so schrill. Und wie sie vorher 'scharf' mit drei f's gesprochen hatte, sprach sie jetzt 'schrill' mit einem nicht aufhörenden l aus. Dass sie ihre Zunge während dieses unaufhörlichen l's ziemlich entblösste, schien ihr nichts auszumachen. La Mettrie lässt grüssen, dachte Gottlieb und machte durch eine Kopfbewegung deutlich, dass er jetzt, solange sie das l trillerte, vor sich auf den Boden schauen werde. Da sah er, zum ersten Mal, ihre Schuhe. Wahrscheinlich waren die jetzt gerade modern. Viel länger als nötig, so weit kann kein Fuss nach vorne kommen, so schmal kein Fuss sein, und ganz vorne nicht mehr spitz, sondern wie abgesägt. Aber das wirklich Attackierende war das Schlangenleder oder Schlangenledermuster. Total tropisch oder: die Schlange persönlich. Die Absätze manirierter als je. Geschwungen dünn und dann doch ziemlich massiv auf den Boden kommend.
Er schaute wieder nach oben.
Sie werden, fürchte ich, von mir hören, sagte sie. (...)
Aus: Martin Walser, DER AUGENBLICK DER LIEBE, rowohlt 2004

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