Briefe. Nr. 6, aus dem Jahr 1999/2000: An die Freunde des Verlages. 
Samstag, März 12, 2005, 14:34 - BRIEFE
"Liebe Freunde - Der Verlag wird in diesem Jahr 35 Jahre alt, und fast genauso lange wird ihm das Ende prophezeit, um nicht zu sagen: nahegelegt.
Es fing an mit der Voraussage, im von Gott und allen Verlagen verlassenen Westberlin von 1965 fielen einem Blumentöpfe eher auf den Kopf, als sie zu gewinnen seien. Dann kamen die Grössenfetischisten: Der Verlag sei einfach zu klein und falle in jedes Mauseloch. Danach traten die Verteidiger des (konservativen) Abendlands auf, mit Kunstschaum vor dem Mund, gefolgt von der Polizei. Danach die Genossen von den rigiden Fraktionen, gefolgt von postmodernen Betrunkenen und stocknüchternen Betriebswirten.
Womit wir in der Gegenwart sind. Da macht sich (Beispiel: Bertelsmann) ein Typ von smarten Rechenschiebern breit, für den einzig eine Rendite von 15% zählt. Wo wir uns mit höflichen 2 - 4% bescheiden, wie Gallimard oder Hanser oder Einaudi oder Suhrkamp auch, also Kollegen, die ihre Finger ebenfalls nicht vom süssen, verlustreichen Brei der Qualität lassen wollen. Für die Verwalter konzerneigener Profitcenter beginnt aber unter 10% bereits die (von ihnen benannte) "Todeszone". Das heisst, für sie sind wir allesamt todgeweihte Dilettanten.
Willkommen, Dilettanten in der "Todeszone"! Denn dort oben, bei den profitablen 15%, herrschen der Schnelldreher und die Luftnummer, die Makulatur und das Wegwerfbuch. Wovon den Herren öfters dermassen schwindlig wird, dass sie wie Dracula nach neuem Blut schreien, in der Hoffnung, mit neuen Verlagen endlich die Ideen zu kaufen, die ihnen selber fehlen (und mit dem Resultat, dass die gekauften Verlage bald selbst verbleichen).
Ein amerikanischer Kollege, André Siffrin, hat vorgerechnet, dass in den drei marktherrschenden Konzernen der USA in der letzten Zeit kaum ein erwähnenswertes Buch erschienen ist, und beklagt, 'dass das Ideenfeld denjenigen überlassen bleibt, die sich lediglich amüsieren oder uns mit banalen Informationen füttern wollen; grundlegende Diskussionen finden nicht mehr statt.' Mit anderen Worten: Die Herren, die uns die "Todeszone" einreden wollen, befinden sich selbst in Gefahr, in einer geistigen freilich, die von Bildschirmen nicht registriert wird. Dort lassen wir sie.
Der Regierungsumzug traf auch den Verlag: Wir mussten der kroatischen Botschaft weichen und arbeiten nun, in helleren und grösseren Räumen, am Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf. Und, wie Sie auf den folgenden Seiten sehen, bemühen wir uns nach wie vor, unsere Rendite klein und Ihre Lese-Laune gross zu halten. Einmal servieren wir sogar echten Bleigeruch, mehrfach seltsamen Ohrenschmaus und vielfach Taschenbücher mit schönsten Neuentdeckungen.
Einige von ihnen werden Sie hoffentlich kaufen und dabei die uns wohlgesonnenen Buchhandlungen bevorzugen: Sie finden dort gleichgesinnte Dilettanten und andere wilde Leser!

Klaus Wagenbach


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