Die schönste Leere der Stadt. 
Sonntag, Januar 8, 2006, 18:32 - PRESSE
Wer in diesen Tagen ausserhalb der Stosszeiten die grosse Halle des Zürcher Hauptbahnhofes betritt, wird ergriffen von einem berückenden Raumgefühl. Ein Licht aus zweifellos überirdischer Quelle streift zu manchen Tageszeiten durch die Fenster und pinselt die Wand. Der Engel von Niki de Saint Phalle wacht über die Unendlichkeit. Die wenigen Passanten zaubern ein leises Trippeln auf den Boden. Was für ein Unterschied zu den Wochen zuvor, als die Hüttchen des Christkindli-Markts in die Halle gepfercht waren! Es ist, als hätte man von einem winzigen Monitor auf einen Grossbildschirm umgestellt: Die Welt scheint auf einen Schlag gross: Eigentlich, so denkt man sich beim Auskosten dieser Grosszügigkeit, müsste der Ort geschützt werden - vor dem Verstellen durch Requisiten diverser Veranstaltungen, die ihn während vieler Wochen im Jahr beschneiden. In Zürich grassiert der Horror Vacui, die Angst vor dem ungefülten, unbespielten und somit scheinbar ungenutzten Raum. Die wunderbarste Profanhalle der Stadt aber entfaltet ihre Magie erst, wenn sie leer ist. Manchmal ist nichts schöner als das Nichts.

urs. in "nebenbei notiert"; NZZ Nr. 5 - 7./8. Januar 2006

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