Tomi Ungerers Pragmatismus. 
Freitag, Mai 14, 2010, 09:34 - PRESSE
Meine Helden waren Max und Moritz, die die Pfeife vom Lehrer Lämpel zum Explodieren bringen. Jedes Kind hat diesen kleinen Teufel in sich und liebt Knallfrösche und Rauchbomben. Kinderseelen sind doch gerade deshalb so faszinierend, weil sie neben Reinheit und Unschuld auch aus Boshaftigkeit, Tücke und Sadismus bestehen.

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Kinder mögen Angst. Sie lieben schreckliche Geschichten, weil sie spüren, dass die Welt nicht heil ist. Man muss Kinder traumatisieren, damit sie lernen, ihre Angst zu überwinden. Das ist wie eine Impfung für die Zukunft. Traumata sind Dünger für den Charakter und die Individualität. Die seichte Welt der gängigen Kinderbücher macht einen nicht stark. Ich will ein Kind für die Wirklichkeit wappnen – und die ist nun mal traumatisch.

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Sendak hat recht, wenn er meint: «Kinder, die es lustig finden, dass Max und Moritz am Ende zu Korn verarbeitet und verspeist werden, brauchen später keinen Psychiater.» Das Wichtige an diesen Geschichten ist die Einsicht, dass das Böse schlauer ist als das Gute. Die Guten müssen begreifen, dass sie etwas von den Bösen lernen können, nämlich gerissener zu werden. Ohne diesen Pragmatismus wird das Gute immer zweiter Sieger sein. Man kann auch lernen, dass das Leben ohne das Böse entsetzlich langweilig wäre. Wir sollten Gott jeden Tag danken, dass wir etwas zu bekämpfen haben.

Ausschnitte aus Man muss Kinder traumatisieren - Sven Michaelsen im Interview mit Tomi Ungerer. Erschienen in der Weltwoche Nr. 19 vom 12. Mai 2010.

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