Tomi Ungerers Pragmatismus - letzter Teil. 
Montag, Mai 17, 2010, 19:51 - PRESSE
Ich wurde vom Blitz getroffen, hatte mehrere Herzinfarkte und kämpfe mit dem Krebs. Ich war in meinem Leben schon dreimal tot – und es war so wunderschön, dass ich nicht mehr zurückkommen wollte. Dieses Licht, diese Abwesenheit von Schuldgefühlen, dieser Friede, diese Serenität: Das haben wir hier auf Erden nicht. Weil es die wunderbarsten Momente meines Lebens waren, habe ich Sehnsucht nach dem Tod. Das ist wie Nostalgie.

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Man muss den Tumor mit Humor nehmen. Und man muss die Schmerzen bescherzen und zum Freund machen, denn wenn einer verzweifelt stirbt, war sein ganzes Leben umsonst. Als ich ein Auge verlor, habe ich mir gesagt: «Wenn du das andere Auge auch noch verlierst, kannst du immer noch Figuren kneten und dich selbst befriedigen. Klage also nicht.»

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Ich bin jetzt 78 Jahre alt - ich habe Pläne für fünfzehn neue Bücher. Nur das Kreative macht noch meinen Lebenswillen aus. Gelebt habe ich genug. Ich muss auch nichts mehr besitzen. Meine 1500 historischen Spielzeuge und die meisten meiner 40 000 Zeichnungen habe ich längst der Stadt Strassburg geschenkt. Das Schöne am Altwerden ist, dass man es schafft, den Hass aus seinem Leben zu jagen, denn man begreift, dass der Hassende am Ende mehr leidet als der Gehasste. Das Tragische am Altsein ist, dass die Vergangenheit die Zukunft auffrisst.

Ausschnitte aus Man muss Kinder traumatisieren - Sven Michaelsen im Interview mit Tomi Ungerer. Erschienen in der Weltwoche Ausgabe Nr. 19 vom 12. Mai 2010.

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