Anspruchsvolle Polemik. 
Samstag, Oktober 16, 2010, 21:24 - BÜCHER
Und so kam ich dazu - da war zuerst einmal dieser mundwässernde Hinweis unter dem Titel [Wir Infantilen].

Als nächstes konsultierte ich die Website des [MERKUR].

Tja - die Bestellung des Sonderheftes (über den Buchhandel) war dann der logische Schritt; wobei "Heft" - eine ziemliche Untertreibung! Ein recht ansehnlicher Wälzer mit rund 300 Seiten ist das.

Und seitdem ergötze ich mich an Polemikern wie Norbert Bolz in seinem Beitrag "Agenda Freiheit" - nachstehend ein lustvoll abgetippter Ausschnitt, der den Grundton, der sich wie ein roter Faden durch praktisch alle Beiträge der professoral-gereiften Persönlichkeiten zieht, trefflich wiedergibt:

(...) Der Paternalismus des vorsorgenden Sozialstaates behandelt die Bürger als Kinder, Patienten oder Heiminsassen und verwandelt sie allmählich in fröhliche Roboter und glückliche Sklaven. An die Stelle von Freiheit und Verantwortung treten Gleichheit und Fürsorge. Die umfassend Betreuten brauchen gar keinen freien Willen mehr und empfinden die totale Vorsorge als Wohltat. Der demokratische Despotismus entlastet sie nämlich vom Ärger des Nachdenkens genauso wie von der Mühe des Lebens. Ein Netz präziser kleiner Vorschriften liegt über der Existenz eines jeden und macht ihn auch in den einfachsten Angelegenheiten abhängig vom vorsorgenden Sozialstaat. Die Überregulierung des Alltags verwandelt die Befolgung des Gesetzes aus einem Sollen in ein Gehorchen. An die Stelle des bürgerlichen Rechtsbewusstseins ist längst die soziale Kontrolle geworden.

Man muss sich die Patienten in unserer geschlossenen Anstalt als zufriedene Menschen vorstellen. Sie sind freiwillig hier, man braucht keine Ketten und Schlösser; die Angst vor der Freiheit und die Sehnsucht nach Sicherheit und Ordnung schliessen sie ein. Die Betreuer verstehen sich als die guten Hirten einer folgsamen Herde. Die wenigen Widerstrebenden werden nicht gezwungen, sondern entmutigt; sie werden nicht physisch tyrannisiert, sondern psychisch zermürbt. Und niemand scheint sich an der Bevormundung, der Herrschaft der Betreuer zu stören, weil man sich ja einreden kann, die Vormünder selbst gewählt zu haben.

Jeder Paternalismus behandelt Menschen als Material. Das gilt gerade auch für die wohlmeinenden Reformer, die Belohnungen und Strafen zu einer Technik der Heteronomie organisieren. Ihr Erfolgsprodukt sind die Gutmenschen. Mittlerweilen benutzen sie sogar schon das Glück der Ungeborenen, um uns die Freiheit zu beschneiden: Wir sollen Energie sparen, den Müll trennen, sozial sein und nicht rauchen. So schützt uns der Paternalismus des vorsorgenden Sozialstaates vor der Freiheit zum Schlechten – und verkauft das als Befreiung.

Dass das so gut funktioniert, hat anthropologische Gründe. Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Hinfälligkeit, Übermacht und Feindseligkeit machen Angst. Deshalb wollen die meisten Sicherheit statt Freiheit. Darauf hat sich das politische System seit den Tagen von Thomas Hobbes immer konsequenter eingestellt. Im Wohlfahrtsstaat hat es den Menschen die Freiheit abgekauft für das Versprechen von Sicherheit und Gleichheit. Und in der Tat bringt die kommode Sklaverei unter kapitalistischen Bedingungen fast allen einen akzeptablen Lebensstandard und hohe Lebenssicherheit. Wir können deshalb den vorsorgenden Sozialstaat als Hoheitsverwaltung der Hilflosen definieren. Die Welt der Wohlfahrt zerfällt nicht mehr in Arbeiter und Kapitalisten, sondern in Betreute und Betreuer. Dabei entwickelt sich auf beiden Seiten eine unheilvolle Eigendynamik. Die Betreuer haben ein Interesse an der Hilflosigkeit ihrer Klientel. Und auf der anderen Seite sind diejenigen, die es gelernt haben, sich hilflos zu fühlen, nur noch mit der entlastenden Erklärung ihrer Unfähigkeit beschäftigt. (…)

Sehr anregend!

Kommentare

Kommentar hinzufügen
nocomments