Dienstag, 11. Juni 1940. 
Freitag, August 26, 2011, 21:05 - BÜCHER
Jetzt fängt wohl die Einkesselung von Paris an!
Die Bahnhöfe sind anscheinend geschlossen. Fahrkarten werden nicht mehr ausgehändigt.
Ich bleibe. Ich bin immer entschlossen gewesen zu bleiben. Jetzt bin ich es erst recht. Ich will nicht meine Lebensgefährten, die Tiere, opfern.



Ich wüsste nicht, wohin ich gehen sollte. Ich füge mich schlecht ein: ich mag nicht irgendwo, mit irgendwelchen Menschen zusammengepfercht leben. Ich will mich nicht der Gefahr aussetzen, bei meiner Rückkehr nichts mehr in meinem Haus vorzufinden. Die blosse Vorstellung, in Eile packen und meine Abreise organisieren zu müssen, würde mich zum Bleiben veranlassen. Ich sage mir, dass alles von den Leuten abhängt, an die man gerät. Ich kann an einen Rohling geraten. Ich kann auch an einen zivilisierten Menschen geraten. Ich bin ein alter Herr. Ich habe keine Waffen bei mir: ich bin eine harmlose Zivilperson. Was, zum Kuckuck, sollte man gegen mich haben? Ich bleibe da. Mut ist das nicht. Es ist Kaltblütigkeit, Vernunft, Ungerührtheit, Wurstigkeit. Dennoch frage ich mich, wie ich mich verhalten werde, wenn vor meinem Gartentor deutsche Soldaten auftauchen. Wenn es nun Morgen ist, wenn ich gerade aufgestanden bin und, wie immer um diese Zeit, schlechte Laune habe? Werde ich sie unterdrücken können? Werde ich auch nicht völlig aus der Fassung sein? Von weitem nehmen sich die Umstände gut aus. Man meint, seiner selbst sicher zu sein. Aber wenn es soweit ist und man mittendrin steckt ... !

Ausschnitt aus: Paul Léautaud - Kriegstagebuch 1939 - 1945. Berenberg. ISBN 978-3-937834-42-9

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