Eine Welt, in der vermeintlich nichts geschieht. 
Sonntag, Oktober 16, 2011, 10:08 - HANDWERK&KUNST
Vier Monate verbrachten [Silvia Bächli] und Eric Hattan im Frühjahr 2008 in der Hafenstadt Seyðisfjörður* im Osten Islands.

*"Stadt" ist in Island übrigens immer ein sehr relativer Begriff: Einwohnerzahl von Seyðisfjörður: 717 (Stand: 1. Januar 2009. Quelle: wikipedia).


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Die Hafnargata war eine Art Leitlinie im isländischen Alltag von Silvia und Eric. Die Strasse führt von ihrem Haus zum Supermarkt und zur Tankstelle, zum leer geräumten Bücherladen, zum Technikmuseum, ins Café, zum Hafen und wieder zurück, an ihrem Haus vorbei zur Fischfabrik und weiter. Auf der Hafnargata haben die beiden ihre Nachbarn öfters gekreuzt, gegrüsst – nach einigen Wochen grüssten die Nachbarn dann auch zurück.

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Auf der Landkarte bezeichnet „Hafnargata“ eine Strasse im Osten Islands: die Hafenstrasse. Gleichsam als Fortsetzung der Fährlinie, die vom Festland Europas über die Färöerinseln nach Island kommt, setzt die Hafnargata am Hafen der Ortschaft Seyðisfjörður ein und führt – dem Fjord entlang zurück – vorbei am Haus, in dem sie während vier Monaten gewohnt und gearbeitet haben. Dann begleitet die Strasse den Meeresarm über eine weite Strecke in Richtung Osten und läuft einige Kilometer vor dem Rand des offenen Meeres aus. Genauer: einige Kilometer vor dem Rand des Festlandes trifft die Strasse auf einen kleinen Fluss und wird durch ihn unterbrochen. Bis dahin reicht ihr Name – danach hat die Linie keinen Namen mehr.



Der Blick durch eines der Fenster geht auf die leerstehende Weinhandlung auf der gegenüberliegenden Seite der Hafnargata, parallel zu ihr verläuft der Meeresarm und darüber das andere Ufer des Fjords. Eiszapfen säumen das Dach über dem Fenster und wirken wie gläserne Wimpern des Bildes. Ein Blick aus einem anderen Fenster des Hauses trifft ins Leere. Es ist, als blickten wir durch den Sucher auf die Mattscheibe, die – geblendet von Licht und Schnee – fast nichts mehr auffängt und so sich selbst als matte Scheibe ins Bild rückt. Im nächsten Fenster sehen wir das Nachbarhaus – in ihm wohnt eine blinde Frau.

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Die Bewegung da draussen nähert sich dem Stillstand an. Alles ist Stock und Bein gefroren. Ein Auto ist zugeschneit, immobilisiert, gefroren im Index der Zeit. Die Fotografien lassen bereits Erstarrtes erstarren und bewahren die Welt wie Eiskristalle in sich auf. Doch dieser Stillstand ist vermeintlich. Eindringlich zeithaltig ist dieses Dasein der Dinge. Unter dem Schnee wachsen bereits die Knollen und Keime heran – sie sind wachsam und bereiten sich auf ihren Ausbruch vor.

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Der Hafen, die Fischfabrik, die Lagerhallen, die Kühltürme, die Tankstelle - doch fehlen Anzeichen dafür, dass hier tatsächlich etwas gefertigt, gefördert oder produziert wird. Eine Welt, in der vermeintlich nichts geschieht, schärft die Konzentration für die Details und lässt Dinge sichtbar werden, die sich der Aufmerksamkeit sonst entziehen.



Silvia Bächli sagt, das Sich-Zeit-Lassen sei für ihre Arbeit wesentlich, denn nur dadurch würde eine besondere Art von Wachheit möglich, die notwendig sei, um die ganz gewöhnlichen Dinge zu sehen, als sehe man sie zum ersten Mal.

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Für Silvia Bächli bedeutet Zeichnen - dies betont sie in Interviews und Gesprächen immer wieder - vorrangig Weglassen. Ihre Zeichnungen zeigen die große Kunst der Reduktion, ihr Reichtum zu einem Konzentrat verdichtet. Als wäre all dieses unter einer Schneedecke verschwunden.



Schnee und Eis entschleunigen die Welt. Selbst Naturprozesse verlangsamen sich in der polaren Fauna, die Biozyklen passen sich an die Polartage und -nächte an und die Zeit erscheint gedehnt.

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Der Schnee schluckt nicht nur Bewegung und die Dinge, sondern auch Geräusche. Und vor dem Hintergrund der Stille zeichnet sich das Geräusch umso deutlicher ab, so dass nie Stille ist.

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Auf Spaziergängen entstanden gemeinsame Fotografien in einem Panoramaformat: keine narrative Bebilderung einer gelungenen Reise, sondern Landschaftsdestillate aus Schnee und Eis. Denn davon gab es auf Island in diesen Monaten sehr viel. Die Isländer sagen, dieser Winter sei im Tal der härteste seit den 1960er Jahren gewesen. Mit Schnee bis im Mai.



(Sämtliche kursiv gesetzten Texte sind zusammenhanglos herauskopierte Ausschnitte aus verschiedenen Originaltexten auf silviabaechli.ch, im Bestreben, sie hier wieder einigermassen in einen sinnvollen Neu-Zusammenhang zu bringen.)

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