Was sagt eigentlich ... 
Freitag, März 2, 2012, 06:09 - BÜCHER
... einer, der schreibt, zur Buchpreisbindung?

Zum Beispiel [Peter Stamm].
Nachfolgend ein ungekürzter Text - gefunden im Anhang einer Verlagsmitteilung des [Limmat-Verlags Zürich]:

"Als Autor kann es mir eigentlich egal sein, ob der Buchpreis gebunden ist oder nicht. Meine Tantiemen sind in den Verträgen festgelegt, ich bekomme pro Buch gleich viel, ob es zumListenpreis verkauft wird oder mit 30 Prozent Rabatt. Meine Bücher gehören zwar nicht zu jenen, die in den Regalen der Post oder der Ex Libris stehen, aber mein Verlag ist doch immerhin gross genug, um auch von Discountern nicht übergangen zu werden. Aber welcher literarische Autor, welche literarische Autorin hätte je geschrieben, um reich zu werden? Die meisten von uns würden mehr verdienen, wenn sie ihre Zeit statt mit Schreiben zu verbringen an der Kasse der Ex Libris sitzen würden. Wenigstens wären sie dann gegen Krankheit versichert, hätten eine Pensionskasse und bekämen Kinderzulagen.

Bücher, könnte man meinen, seien ein wichtiges Kulturgut. Was wüssten wir von der Schweiz des 19. Jahrhunderts, wenn wir keinen Gottfried Keller hätten, keinen Conrad Ferdinand Meyer oder Jeremias Gotthelf, keine Johanna Spyri?

Unser Land gibt jedes Jahr ungefähr 3,6 Milliarden Franken an Subventionen und Direktbeiträgen für die Landwirtschaft aus. Diese Beiträge werden mit der gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft begründet, mit der «Nutzung und Pflege der landwirtschaftlichen Nutzfläche».

Auch die Literatur erbringt eine gemeinwirtschaftliche Leistung. Sie pflegt die geistige Landschaft der Schweiz, sie schreibt unsere Geschichte fort, stellt nationale Identität her, erinnert uns daran, woher wir kommen, denkt darüber nach, wer wir sind und wohin wir gehen. Diese Leistung ist Bund, Kantone und Gemeinden jährlich 16 Millionen Franken wert. (Wovon höchstens ein Zehntel direkt den Schreibenden zu gute kommt.)

In einer Untersuchung über die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden von 2006 schnitten die Schreibenden am schlechtesten ab. Nur ein Viertel gab an, mehr als 20’000 Franken mit ihrem Schreiben zu verdienen. Die finanzielle Lage der meisten Autorinnen und Autoren ist, kurz gesagt, katastrophal. Kaum eine, kaum einer kann es sich leisten, sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Es mag pathetisch klingen, aber sich in der Schweiz für das Schreiben zu entscheiden heisst zugleich, sich mit grösster Wahrscheinlichkeit für ein Leben in Armut zu entscheiden.

Die Bundesbeiträge für alle Schriftstellerinnen und Schriftsteller entsprechen ungefähr jenen für sechzehn Bauern. Dazu kommt, dass der Markt für landwirtschaftliche Produkte weitgehend geschützt ist. Ausgerechnet an der darbenden Buchbranche jedoch soll der freie Markt ausprobiert werden.

Natürlich will kein Politiker und keine Politikerin gegen das Buch sein, alle betonen, wie wichtig es sei, die Buchvielfalt zu erhalten. Aber jedesmal, wenn in den letzten Jahren Geld dafür gesprochen werden sollte, stimmten dieselben Politiker dagegen, wie im letzten Jahr, als es um drei Millionen für die Verlagsförderung oder um die Motion zur Förderung der Schweizer Buchautoren ging.

Vergisst man die Ideologie des freien Marktes und schaut sich die Realität an, so zeigt sich, dass die Buchpreise in Ländern ohne Preisbindung im Durchschnitt stärker gestiegen sind als in jenen mit. Und dass dort unzählige Buchhandlungen eingegangen sind, in England zum Beispiel mehr als die Hälfte. Kleine, gut sortierte Buchhandlungen sind für Autorinnen doppelt wichtig. Zum einen kennen und empfehlen sie Schweizer Literatur, zum anderen organisieren viele von ihnen Lesungen, die für die meisten von uns die Haupteinnahmequelle sind. Den Initiatoren des Referendums – allen voran der Ex Libris – kann ein Buchhandelssterben nur recht sein. Wer schon einmal in einer Filiale der Ex Libris war und mehr suchte als ein Kreuzworträtsellexikon, eine Globi-Kassette oder das neue Buch von Paulo Coelho wird sich davor fürchten.

Niemand wird mit Büchern reich, weder die Autorinnen noch die Verlage noch die Buchhändler. Aber es wäre schön, wenn die Büchermacher überleben könnten und so die kulturelle Vielfalt der Schweiz reich bleibt."


Simon Tavik: Vilma reading on a sofa

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