Briefe. Nr. 13, vom 13. Juni 1996: An Borges; posthum. 
Dienstag, März 20, 2007, 20:52 - BRIEFE
Lieber Borges, (…) Sie haben gesagt, dass wir der Literatur fast alles schulden, was wir sind und was wir gewesen sind. Wenn Bücher verschwinden, wird die Geschichte verschwinden, und die Menschen werden ebenfalls verschwinden. Ich bin sicher, dass Sie recht haben. Bücher sind nicht nur die beliebige Summe unserer Träume und unser Gedächtnis. Sie bieten uns auch das Vorbild für Selbsttranszendenz. Manche Leute halten Lesen bloss für eine Art von Flucht: eine Flucht aus der „wirklichen“ Welt des Alltags in eine imaginäre Welt, die Welt der Bücher. Bücher sind viel mehr. Sie sind eine Art und Weise, ganz und gar Mensch zu sein. (…)

Susan Sontag: Ein Brief an Borges.
Aus: Worauf es ankommt. Essays. Hanser, 2005. ISBN 3-446-16019-1
Briefe. Nr. 12, vom Juni 2006: An den Oberbürgermeister. 
Freitag, Juni 9, 2006, 18:38 - BRIEFE
Lieber Joachim Erwin, lieber Oberbürgermeister –

Ihre freundliche Stimme noch im Ohr, möchte ich Ihnen sagen, welch gute Überraschung dieser Heinrich-Heine-Preis war, erst einmal für mich, der sich überhaupt keinen Preis mehr erwartet hatte, und wie er solch eine Überraschung weiterhin ist, gut vielleicht weniger für mich persönlich als für ein endliches allgemeines Auftauen, so scheint es inzwischen zumindest, der gefrorenen Blicke und Sprache in Hinsicht auf das jugoslawische Problem, einschließlich des Prozesses gegen Slobodan Milosevic, wie das ja wohl auch Sie sich gewünscht haben. Doch ich schreibe Ihnen heute zusätzlich, um Ihnen (und der Welt) die Sitzung des Düsseldorfer Stadtrats (heißt das so?) zu ersparen, womit der Preis an mich für nichtig erklärt werden soll, zu ersparen auch meiner Person, nein, eher dem durch die Öffentlichkeit (?) geisternden Phantom meiner Person, und insbesondere zu ersparen meinem Werk, oder meinetwegen Zeug, welches ich nicht wieder und wieder Pöbeleien solcher wie solcher Parteipolitiker ausgesetzt sehen möchte. Ich bitte Sie – so das in Ihrer Macht steht –, die Sitzung oder Veranstaltung auf den Nimmerleinstag zu verschieben und stattdessen die Stadträte an die frische Luft zu entlassen, zum Beispiel zu einem Picknick an den Rhein. Schade ist vielleicht nur, dass ich im Dezember einiges hätte darlegen können zum Unterschied zwischen journalistischer und literarischer Sprache, und dass ich nun in Düsseldorf-Rath sowie in der Gartenstraße beim Hofgarten meine Streunereien vor 35, 40 Jahren nicht wiederholen kann. Aber dafür werde ich bald wieder einmal vor dem Grab Heinrich Heines auf dem Friedhof von Montmartre stehen – der Friedhof ist nicht weit von meinem Kaff hier. Und seien Sie nochmals bedankt, lieber Joachim Erwin, für Ihre Aufgeschlossenheit – die Sie sich für Ihr Tun und Lassen bewahren mögen.

Herzlich,
Ihr
Peter Handke
Briefe. Nr. 11, vom 25.09.2005: An Reeto von Gunten. 
Sonntag, September 25, 2005, 11:29 - BRIEFE
Lieber Reeto
DRS 3 war gut, sehr gut sogar, bis man dich, das DRS3-Aushängeschild REETO VON GUNTEN, rausschmiss - du warst ein enorm witziger, scharfsinniger, "frecher" Radio-Moderator, deine Sendungen ein Renner; bei mir hatten sie gar Kult-Status: Ich versuchte, nie eine zu verpassen.
Seit 2004 moderierst du wieder - jeden zweiten Sonntagvormittag, im Wechsel mit Sandra Schiess - leider kann ich zu meinem eigenen Erstaunen gar nicht loben: Sendungen mit absolutem Gähnfaktor und subito Ausschaltreaktion; da werfe ich lieber ein paar CDs ein und mache mein eigenes Programm.
Das Verhängnis: Du moderierst zusammen mit einem Kind - hättest du das doch lieber bleiben lassen. Ich vermute: Du bist inzwischen Papi geworden - und wie das manchmal so ist, wenn man vom Jung-Chaoten zum Papi mutiert - du bist erleuchtet worden, etwa in der Art: Kinder sind ja so unglaublich genial, kreativ, unvoreingenommen, spontan, ohne falsche Hemmungen - damit will ich DRS 3 wieder aufpeppen.
Ok, Reeto, ok - Kinder können ja wirklich genial, kreativ, spontan und auch sonst eine wahre Freude sein. KÖNNEN, Reeto, müssen aber nicht - und am Radio MÜSSEN sie ganz offensichtlich. Und das geht (übrigens nicht nur aus meiner Sicht, wie andere Hörer-Reaktionen belegen) total in die Hose: mühsam und bieder und altklug von hier bis dort, und - bäääääh. Einfach nur bääääh.

Mein aufrichtiges Beileid!
a.more.s

P.S: Ich muss natürlich nach einer so niederschmetternden Kritik in mich gehen und mich fragen: a.more.s - wirst denn du immer besser, je älter du wirst?!
Lieber Reeto - die Ansichten darüber werden bestimmt variieren; ich habe dazu meine eigene, sehr präzise Erkenntnis, und die gebe ich hier natürlich nicht preis - doch wie auch immer: Bei mir merkt es wenigstens nicht gleich die ganze Nation.
Briefe. Nr. 10: An Peter Mullan. 
Samstag, August 13, 2005, 11:43 - BRIEFE
Lieber Peter Mullan

Sie waren schon immer mein Held!
Wenn Sie also nicht in meinem Film mitspielen, bringe ich mich um.

Hochachtungsvoll:
Gaby Dellal, Regisseurin

(pssst...ein simpler Unterhaltungsfilm ohne jeglichen Tiefgang - wird keinen Leoparden gewinnen).
Briefe. Nr. 9, aus dem Jahr 1926: An R.M.R. 
Donnerstag, Juli 21, 2005, 09:22 - BRIEFE
Rainer Maria Rilke! Darf ich Sie so anrufen? Sie, die verkörperte Dichtung, müssen doch wissen, dass ihr Name allein - ein Gedicht ist... O Rainer, ich will nicht wählen (wählen ist wühlen und wüst sein), ich kann nicht wählen, ich nehm die ersten besten Zeilen, die noch mein Ohr enthält. Ins Ohr schreibst du mir, mit dem Ohr bist du gelesen.

Marina Zwetajewa, eine (Zitat NZZ) "Extremistin der Liebe".

Wenn jemand uns zusammenträumt, dann treffen wir uns, hatte sie an ihren aus der Ferne Geliebten geschrieben, auf den sie doch verzichten musste, weil die beiden nie einander begegneten. Und dennoch rührten, berührten sie sich - mit Schwingen oder "mit Flügelschlägen", wie Rilke im Gegenzug schrieb
(Pressearchiv Gut Böckel).
Briefe. Nr. 8, vom 07.06.2005: An Herrn Sprüngli. 
Dienstag, Juni 7, 2005, 21:40 - BRIEFE
Sehr geehrter Herr Sprüngli

Würden Sie bitte hier in Bern endlich auch mal eine Sprüngli-Filiale eröffnen? Immer muss ich nach Zürich reisen, wenn ich an Ihre leckeren Frischprodukte herankommen will. Nichts gegen Zürich, gar nicht - ich bin gerne dort, sie gefällt mir, diese Stadt (ausser im Moment die ach-so-originellen Kitschbären, die da überall aufgestellt sind, die könnten mir wirklich gestohlen bleiben). Aber jedesmal für ein Number 1, ein Luxemburgerli, ein VIPchen eine Stunde lang im Zug sitzen...

Natürlich kann ich mir Ihre Produkte dank Internet und Post auch direkt ins Haus bringen lassen - doch in einer Ihrer Filialen all die Pracht bestaunen, das ist halt schon was ganz anderes. Natürlich gibt es hier in Bern auch hervorragende Confiserien - doch ein Sprüngli ist eben ein Sprüngli, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und sowieso will der Max Küng mit seinem Domori-Tick Sie da langsam aber sicher aus Zürich rausekeln - Bern empfängt Sie mit offenen Armen, da können Sie sicher sein! Die Leute hier sind nicht so Küng-hörig - war ja schlimm, all die Küng-Jünger, die da letzte Woche im Jelmoli in Zürich mit offenem Mund vor den Domoris herumlungerten und die Regale plünderten.

Überlegen Sie es sich doch bitte noch einmal!
In der Nähe des neuen Paul-Klee-Zentrums vielleicht?!
Sonst eben im Hauptbahnhof!
Bern ist Entwicklungsland - in vielen Bereichen!
Und bis dato Domori-freie Zone.

Herzlichst:
a.more.s
Briefe. Nr. 7, vom 30.11.1938: An Emily Coleman. 
Sonntag, März 13, 2005, 19:15 - BRIEFE
(...) "Was hältst du davon: " ... der Rhythmus der geistigen Entwicklung als solcher stimmt nicht mit dem Rhythmus des körperlichen Wachstums überein. Bei ersterer ist es nicht die Jugend, sondern das Alter, welches normalerweise den Höhepunkt bringt; im erhabensten Fall könnte man sogar so weit gehen zu behaupten: Der Geist wird immer jünger, je näher der Mensch dem Grabe kommt." (...)

Verlag Klaus Wagenbach, Berlin. ISBN 3-8031-3162-6
Briefe. Nr. 6, aus dem Jahr 1999/2000: An die Freunde des Verlages. 
Samstag, März 12, 2005, 14:34 - BRIEFE
"Liebe Freunde - Der Verlag wird in diesem Jahr 35 Jahre alt, und fast genauso lange wird ihm das Ende prophezeit, um nicht zu sagen: nahegelegt.
Es fing an mit der Voraussage, im von Gott und allen Verlagen verlassenen Westberlin von 1965 fielen einem Blumentöpfe eher auf den Kopf, als sie zu gewinnen seien. Dann kamen die Grössenfetischisten: Der Verlag sei einfach zu klein und falle in jedes Mauseloch. Danach traten die Verteidiger des (konservativen) Abendlands auf, mit Kunstschaum vor dem Mund, gefolgt von der Polizei. Danach die Genossen von den rigiden Fraktionen, gefolgt von postmodernen Betrunkenen und stocknüchternen Betriebswirten.
Womit wir in der Gegenwart sind. Da macht sich (Beispiel: Bertelsmann) ein Typ von smarten Rechenschiebern breit, für den einzig eine Rendite von 15% zählt. Wo wir uns mit höflichen 2 - 4% bescheiden, wie Gallimard oder Hanser oder Einaudi oder Suhrkamp auch, also Kollegen, die ihre Finger ebenfalls nicht vom süssen, verlustreichen Brei der Qualität lassen wollen. Für die Verwalter konzerneigener Profitcenter beginnt aber unter 10% bereits die (von ihnen benannte) "Todeszone". Das heisst, für sie sind wir allesamt todgeweihte Dilettanten.
Willkommen, Dilettanten in der "Todeszone"! Denn dort oben, bei den profitablen 15%, herrschen der Schnelldreher und die Luftnummer, die Makulatur und das Wegwerfbuch. Wovon den Herren öfters dermassen schwindlig wird, dass sie wie Dracula nach neuem Blut schreien, in der Hoffnung, mit neuen Verlagen endlich die Ideen zu kaufen, die ihnen selber fehlen (und mit dem Resultat, dass die gekauften Verlage bald selbst verbleichen).
Ein amerikanischer Kollege, André Siffrin, hat vorgerechnet, dass in den drei marktherrschenden Konzernen der USA in der letzten Zeit kaum ein erwähnenswertes Buch erschienen ist, und beklagt, 'dass das Ideenfeld denjenigen überlassen bleibt, die sich lediglich amüsieren oder uns mit banalen Informationen füttern wollen; grundlegende Diskussionen finden nicht mehr statt.' Mit anderen Worten: Die Herren, die uns die "Todeszone" einreden wollen, befinden sich selbst in Gefahr, in einer geistigen freilich, die von Bildschirmen nicht registriert wird. Dort lassen wir sie.
Der Regierungsumzug traf auch den Verlag: Wir mussten der kroatischen Botschaft weichen und arbeiten nun, in helleren und grösseren Räumen, am Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf. Und, wie Sie auf den folgenden Seiten sehen, bemühen wir uns nach wie vor, unsere Rendite klein und Ihre Lese-Laune gross zu halten. Einmal servieren wir sogar echten Bleigeruch, mehrfach seltsamen Ohrenschmaus und vielfach Taschenbücher mit schönsten Neuentdeckungen.
Einige von ihnen werden Sie hoffentlich kaufen und dabei die uns wohlgesonnenen Buchhandlungen bevorzugen: Sie finden dort gleichgesinnte Dilettanten und andere wilde Leser!

Klaus Wagenbach


Briefe. Nr. 5, vom 27.02.2005: An Madame db. 
Sonntag, Februar 27, 2005, 22:00 - BRIEFE
Chère db
J' étais là, samedi dernier - hier! - vers midi, dans un bistro, au Marais. Je mangeais des huîtres, comme d'habitude - il n'y avait pas beaucoup de monde - tout au fond de la salle j'ai vu Isabelle Huppert, je le jure - mais, encore plus intéressant, et juste à côté de moi: trois femmes, trois belles femmes, bien âgées (entre 80 et 90 ans), de bon humeur, elles s'amusaient très bien, le vin ne manquait pas, et le repas: tout à fait opulent - on a célébré un anniversaire... je ne suivais pas leur conversation, mais tout à coup, j' ai bien réalisé, l'une des dames disait:
"J' AI PENSÉ À DOMINIQUE."
Oui, je sais bien - le contexte était un autre, sans doute.
Mais moi, quand-même touché de ce petit moment, de ces paroles absolument inattendues, j'ai commandé un verre de champagne - à votre santé! Puis un autre verre - à la mienne...
Ensuite j'ai passé une très bonne journée!
Si jamais vous lisez encore mon petit journal ici - je vous envoie mes pensées les plus cordiales et amicales!
a.more.s
Briefe. Nr. 4, vom 21. Februar 2005: An Frau Deltenre. 
Montag, Februar 21, 2005, 23:35 - BRIEFE
Sehr geehrte Frau Deltenre

Ich habe meinen gestrigen Brief an Sie - einfach gelöscht.
Das war glaube ich das Beste, was ich tun konnte.
Zu viel plumper Sarkasmus meinerseits.
"Wir wollen unverzichtbar sein."
Darauf gibts nur eine Antwort:
Nichts ist unverzichtbar.
Nichts ist unersetzlich.
SF DRS schon gar nicht.
Ohne SF DRS
sinds ganz
einfach
nur noch
49 statt
50.
So
what?!

Mit freundlichen Grüssen:
a.more.s

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