Die Ehe... 
Montag, August 2, 2004, 09:52 - BÜCHER
...ist nun mal
eine seriöse Schlacht.
Nein,
eine Operation.
Zwei Chirurgen
operieren einander.
Ohne Narkose.

(M. Walser, "Zimmerschlacht", 1967)
Starke Worte. 
Montag, August 2, 2004, 08:51 - BÜCHER
INTERESSE. Der stärkste aller Affekte ist mitnichten die Liebe, wie der anschwellende Sirenengesang der Illustriertenweisheitsapostel uns belemmerten Schafen weismacht, sondern das Interesse. Während die Liebe dann, wenn sie sich das Begehrte einverleibt hat, in Erschlaffung zurückfällt und sich, wenn sie nicht in Ekel erstickt, allenfalls in Zuneigung zum Begehrten und Bekommenen transsubstantiiert, bleibt das Interesse, worauf immer es sich richtet, gerade deswegen wach und unvermindert, weil es nicht auf Einverleibung sinnt, sondern sein Kapital aus der Distanz zu seinem Objekt schlägt. Nur wenn sich die Liebe mit dem Interesse paart, hat sie Aussicht auf Beständigkeit - das Interesse aber ist das Grössere von beidem. Es ist die Mutter der Achtung. (...)
ACHTUNG. Jene aus Interesse geborene Haltung Dingen und Menschen gegenüber, die sie in ihrer Eigenmächtigkeit und Eigenständigkeit bestehen lässt, ohne sie im "Wunder der Anerkennung" oder gar in den Metastasen der "Liebe" ins Eigene zu transubstantiieren. Die Achtung ist kalt und unparteiisch, deswegen der einzige Habitus, der für eine rationale Ethik ernstlich in Betracht käme. Die Achtung ist langmütig und freundlich, die Achtung eifert nicht, die Achtung treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht, sie stellt sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre. Die Achtung ist der menschlichen Tugenden göttlichste.
(aus: A.U. Sommer: Die Kunst, selber zu denken - ein philosophischer Dictionnaire; Eichborn)

Hmmm - wenn schon ausgerechnet mein höchst verehrtester Vladimir  
Sonntag, Juli 25, 2004, 13:19 - BÜCHER
Nabokov über Cechov sagt: "Es wären seine Werke, die ich auf eine Reise zu einem anderen Planeten mitnehmen würde" - dann muss ich mich wohl mal auch ein bisschen um Cechov kümmern. Denn Nabokovs Selbstherrlichkeit kennt keine Grenzen und geht oft in baren Grössenwahn über. Nichts und niemand habe ihn je beeinflusst, kein Buch und kein Autor, ob tot oder lebendig, genausowenig wie er jemals irgend einem Verein oder einer Bewegung angehört habe. Hemingway: Hoffnungslos pubertär; J. Conrad: geleckte Klischees, Andenkenladenstil, nicht zum Aushalten; Joyce: in keiner Beziehung auch nur im mindesten beeinflusst; Brecht, Camus, Faulkner: hinterwäldlerische Heimatchroniken; Ezra Pound: ein Obererzschwindler; Beckett: kümmerlich; Thomas Mann: Eseleien; Stendhal: der Liebling jener, die ihr Französisch gern einfach haben; Tolstoij: schmackhaftes Lesefutter für jenes amöbenhaft amorphe Wesen namens 'breites Publikum'; Dostojewskij: melodramatisches Kuddelmuddel, verlogener Mystizismus, schwafelnder Journalist, schludriger Komödiant; Pasternak: jämmerlich, unbeholfen, trivial; Freud: satanischer Humbug... aber Cechov - CECHOV!!! Würde er auf eine Reise zu einem andern Planeten mitnehmen... Ran an Cechov!
Wer so schreibt, hat mich gewonnen.  
Sonntag, Juli 25, 2004, 12:55 - BÜCHER
(...) Er ging mit ihr zum eisernen Gartentor, das man nur aufkriegte, wenn man es zuerst nach oben riss, dann erst konnte man es zu sich herziehen. Auch kreischten die Angeln, weil Gottlieb vor lauter Sitzenmüssen nie dazu kam, sie zu ölen. Sie blieb stehen, hob Kopf und Schultern, als stünde sie unter der Dusche, und sagte mit ihrem dabei sich ganz langsam öffnenden Mund: Toll. Gottlieb blieb nichts anderes übrig als zu fragen: Was? Das Kreischen, sagte sie, so schön, so schrill. Und wie sie vorher 'scharf' mit drei f's gesprochen hatte, sprach sie jetzt 'schrill' mit einem nicht aufhörenden l aus. Dass sie ihre Zunge während dieses unaufhörlichen l's ziemlich entblösste, schien ihr nichts auszumachen. La Mettrie lässt grüssen, dachte Gottlieb und machte durch eine Kopfbewegung deutlich, dass er jetzt, solange sie das l trillerte, vor sich auf den Boden schauen werde. Da sah er, zum ersten Mal, ihre Schuhe. Wahrscheinlich waren die jetzt gerade modern. Viel länger als nötig, so weit kann kein Fuss nach vorne kommen, so schmal kein Fuss sein, und ganz vorne nicht mehr spitz, sondern wie abgesägt. Aber das wirklich Attackierende war das Schlangenleder oder Schlangenledermuster. Total tropisch oder: die Schlange persönlich. Die Absätze manirierter als je. Geschwungen dünn und dann doch ziemlich massiv auf den Boden kommend.
Er schaute wieder nach oben.
Sie werden, fürchte ich, von mir hören, sagte sie. (...)
Aus: Martin Walser, DER AUGENBLICK DER LIEBE, rowohlt 2004
Terry Malloy said... 
Sonntag, Juli 4, 2004, 11:54 - BÜCHER
"I could have had class. I could have been a contender, I could have been somebody - instead of a bum: That's what I am."
(Marli Feldvoss / Marion Löhndorf u.a.: Marlon Brando. Reihe Film Bd. 15. Bertz-Verlag, Berlin. 336 S., Preis nebensächlich).
Ich habe einen Traum. 
Freitag, Juli 2, 2004, 12:09 - BÜCHER
Von der immer wieder lesenswerten Leben-Serie in der ZEIT gibt's inzwischen seit längerer Zeit auch ein (erstes) Buch mit den "schönsten und besten Texten und Fotografien" (Ich habe einen Traum; Kiepenheuer&Witsch).
Erstens: Zum Glück habe ich selber eine Auswahl meiner schönsten und besten getroffen (manchmal lohnt es sich wirklich, gewisse Zeitungsartikel auf die Seite zu legen), denn im Buch vermisse ich einige...
Zweitens: Sieh an, sieh an, was man beim Wiederlesen entdecken kann. Ein gewisser Jim Jarmush erzählt da: "...das Jahrtausend ist gerade erst zu Ende gegangen, am 31. Dezember 2000. (...) Ich lebe in New York. Wenn ich auf das Dach meines Hauses gehe und die World Trade Towers sehe, ist es beinahe lustig zu denken: All das könnte morgen verschwunden sein. Ein Erdbeben oder ein Sturm könnte alles wegwischen. Oder eine Wirtschaftskrise. Vielleicht wirft der Planet das menschliche Leben auch ganz ab, um sich selbst zu erhalten."
Jarmushs Traum-Beitrag beginnt auf Seite 119...
Mehr als Freude - Glück! 
Freitag, Juli 2, 2004, 11:40 - BÜCHER

Was mich fasziniert, ist seine offensichtliche Menschenkenntnis, sein Einfühlungsvermögen in die verschiedenen Charaktere, seine Phantasie, sein Humor, sein virtuoser Umgang mit Sprache, seine Detailkunst - und seine ungewöhnliche Persönlichkeit.
Bisweilen war die Lektüre mehr als Freude. Sie war Glück.
(Kommentar von M. Reich-Ranicki, Mai 1995; Foto von Horst Tappe)
Nachruf. 
Freitag, Juli 2, 2004, 08:41 - BÜCHER
Zu gern erführe ich aus meinen Nachrufen, was ich eigentlich für eine Lebensaufgabe gehabt hätte. Kurios, dass ein Leben im Rückblick der andern Sinn zu machen scheint.
(Andreas Urs Sommer, 'Die Kunst, selber zu denken', Eichborn)

Tagesaktualität. 
Mittwoch, Juni 30, 2004, 18:57 - BÜCHER

Das wär' der Fussball, wie ICH ihn lieben würde. Der Dank gebührt Nikolaus Heidelbach.
Wortmagier. 
Dienstag, Juni 29, 2004, 00:08 - BÜCHER
...Wegwoodplatte, Zitronenschnitze, etwas Grün, keine Salzkartoffeln, was für eine Bauernbanauserie, pur wie der Puro, rein wie die Bahia-Exporte, ist man allseits bereit, das Kunstwerk zu würdigen?
Alle Achtung, Frau Irlande, einen weissen Graves von der Qualität des Pavillon blanc de Château Margaux, Jahrgang 1974, hätte ich in Ihrem Tonnengewölbe nun doch nicht erwartet. Da Hombre in diesem Zustand, man hört ihn hinter den vergitterten Fenstern schnarchen, das Servieren nicht zugemutet werden kann, bin ich ganz in meinem Element; je eine Forelle wird gereicht, die verbleibenden werden auf keinen Fall in den Sud zurückgelegt, welch eine Todsünde, sondern mit einer aufgewärmten Serviette zugedeckt und bei Temperatur gehalten. Wer bringt den Toast aus, sicher nicht ich, nie der Koch, nie der Zeremonienmeister, sicher nicht die Gastgeberin, also Bert May, der es sich nicht nehmen lässt, dieses Festmahl im Stechlinschen Sinn hochleben zu lassen, indem er an das Tagesgespräch im dritten Kapitel erinnert, zwar, so der Erbe von Trunz, ist dort vom Karpfen die Rede, Hauptmann Czako wirft die Frage auf, wie sich das Prachtexemplar auf seinem Teller wohl im Stechlinsee verhalten habe, wenn die Trichterbildung anhob und der rote Hahn aufstieg, als Mitrevolutionär oder Feigling, der sich wie ein Bourgeois in seinem Moorgrund verkrieche, um am andern Morgen zu fragen, schiessen sie noch, der Forelle dagegen sei nur wohl in Gebirgsbächen, und da möchte er sich eine Modulation von Fontane zu Goethe gestatten, "Mahomets Gesang", dritte Strophe, wo vom ewig Fliessenden gesagt werde: "Durch die Gipfelgänge/Jagt er bunten Kieseln nach", dieser jägerischen Mentalität, wenn das Bild gestattet sei, verdanke die Forelle ihr Temperament, sie sei das Ursymbol des Quicklebendigen, weshalb man sie bleu und nicht anders geniessen müsse... (aus: Hermann Burger, "Brenner", Suhrkamp)

<<nav_first <Zurück | 32 | 33 | 34 | 35 | 36 | 37 | 38 | 39 | 40 | 41 | Weiter> nav_last>>