Etwas auszusetzen an der Schweiz? 
Montag, November 22, 2004, 19:11 - BÜCHER
Ulrich M. Schmid in der NZZ vom 20./21. Nov. 2004:
(...) Nabokov mochte das Bier nicht: "Feldschlösschen ist etwas für Feldmäuse." Ausserdem störten ihn die trostlosen Wintermonate und die einheimischen Hunde, die seinen alten Barsoi nicht akzeptierten. Auf den Punkt brachte Nabokov seine grundsätzlich wohlwollende Haltung zur Schweiz in einem Interview mit der "Tribune de Lausanne" aus dem Jahr 1963:
"Ich habe nichts an der Schweiz auszusetzen. Nur an den Kühen. Sie vertreiben die Schmetterlinge."
(Vladimir Nabokov: Eigensinnige Ansichten. Herausgegeben von Dieter E. Zimmer.
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2004. 656 Seiten, Fr. 65.30)

Illustration aus: Horst Tappe, NABOKOV; Christoph Merian Verlag, Basel, 2001.
28.11.2004. 
Montag, November 15, 2004, 22:05 - BÜCHER
An diesem Datum wird in Bern wieder mal gewählt.
Und bis zu diesem Datum wird wieder mal das Blaue vom Himmel heruntergeredet.
WIR LÖSEN ALLE PROBLEME MIT VERSTAND (Wahlplakat der FDP).
OHNE GOTT KÖNNEN WIR UNSERE PROBLEME NICHT WIRKLICH LÖSEN (Wahlplakat der EDU).
Und so weiter. Man kennt die Sprüche ja.
..............................................
OK. Hier muss ich einschieben: Habe gerade einen 500-Zeilen-Text zu diesem Thema einfach wieder gelöscht. PFFFFT - weg. Lohnt sich nicht, Gedanken an diesen Zirkus zu verschwenden. Lächerliches Gebalze um Volkes Stimme. Es reicht, wenn sich diejenigen dazu Gedanken machen, die an dieser Zirkusvorstellung teilnehmen wollen. Denen das wichtig ist. Denn man muss sich ja gut überlegen, wofür man seine Zeit verschwendet. Und besonders in meinem Alter, wo die Zeit wegbricht, die Räume eng werden, die deadlines überschritten sind, da findet man immer weniger, das es wirklich wert wäre, dafür seine kostbare Zeit zu investieren. Denn die verbleibende Zeit ist nicht mehr unendlich. Da ist man gezwungen, sich auf das Wichtige zu konzentrieren. Und was das genau ist, muss dann jeder für sich selber definieren. Das habe ich für mich getan, oder besser: Bin im Begriffe, dies zu tun. Neinnein, hier wird nichts verraten. Oder höchstens, zum Thema passend: Für die Zeit bis zu den Wahlen ziehe ich mich zurück (die Zeit danach, wo der Verstand und/oder Gott ihre volle Wirkung entfalten sollten, ist eh wesentlich interessanter...), ignoriere das ganze Polittheater und vertiefe mich in dieses Buch:

Vielversprechend. Beschäftigt sich mit dem Paradoxon, dass die Menschen zwar immer länger leben, ihnen aber die Zeit immer knapper wird. Eine Kulturgeschichte des befristeten Daseins. Über das fortlaufend stärker auseinander klaffende Verhältnis von Lebenszeit und Weltzeit, ohne dass es dem Menschen angemessen vergönnt wäre, durch Lebensverlängerung mit all dem Neuen, Interessanten, das die Welt - immer noch und immer wieder und immer mehr - bietet, Schritt zu halten. Nach Blumenberg: Der Mensch als Wesen, das mit endlicher Lebenszeit unendliche Wünsche hat.
Solche Gedanken sind für mich jetzt gerade viel wichtiger als die vollmundigen Versprechungen von FDP, EDU, GRÜNEN, SP, SVP, CVP...
Schönheit. 
Sonntag, November 14, 2004, 22:20 - BÜCHER
(...) Dann war da die Affaire mit der Frau des Herrn Professors, die er am Rhein getroffen hatte; sie war hübsch, wenn man sie aus einem bestimmten Blickwinkel und in einem bestimmten Licht betrachtete, aber so kalt und spröde, dass er sie bald fallenliess. Schliesslich gab es da in Berlin, kurz vor seiner Heirat, eine magere, trübselige Frau mit hausbackenem Gesicht, die an jedem Samstagabend zu kommen pflegte und ihm dann ihre gesamte Vergangenheit in allen Einzelheiten berichtete, immer wieder die gleichen gottverdammten Sachen, matt in seinen Umarmungen seufzte und stets mit der einzigen französischen Redewendung endete, die sie kannte: "C' est la vie." Schnitzer, Missgriffe, Enttäuschung; sicher war der Cupido, der ihm zu dienen suchte, ein Linkshänder mit fliehendem Kinn und ohne Phantasie. Und neben diesen blassen Romanzen hatte es hunderte von jungen Frauen gegeben, von denen er geträumt, die er aber niemals kennengelernt hatte; sie waren einfach an ihm vorbeigegangen und hatten ein oder zwei Tage lang jenes hoffnungslose Gefühl hinterlassen, das Schönheit zu dem macht, was sie ist: ein ferner einsamer Baum vor goldenen Himmeln; Lichtkringel an der Innenbeuge einer Brücke; etwas, das sich nicht fangen lässt. (...)
(Vladimir Nabokov: GELÄCHTER IM DUNKEL; Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg)
Meer. 
Dienstag, November 9, 2004, 21:59 - BÜCHER


Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes
einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen

Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen
nur Meer

Nur Meer

(Erich Fried: Meer)


Tschechov, meine Liebe. 
Mittwoch, November 3, 2004, 15:43 - BÜCHER
(...) "Ich habe Ihnen stets Glück gewünscht, und wenn ich für Ihr Glück etwas hätte tun können, ich hätte es mit Freuden getan. Aber ich konnte nicht.
Und was ist das, Glück? Wer weiss das? Ich persönlich wenigstens bin mir heute, wenn ich mich an mein Leben erinnere, klar bewusst, dass mein Glück gerade in jenen Minuten lag, als ich, wie mir damals schien, am unglücklichsten war." (...)

Lydia Awilowa: Tschechow, meine Liebe. Blue notes, Edition Ebersbach, Berlin.
Hat es in seinem Leben... 
Mittwoch, Oktober 27, 2004, 20:04 - BÜCHER
... wenigstens eine grosse Liebe gegeben?
-Ich denke, nein.
"Die Liebe, - schrieb er in sein Notizbuch, - ist entweder ein Überrest von etwas Absterbendem, das früher einmal etwas Grosses war, oder sie ist ein Teil dessen, das sich in der Zukunft zu etwas Grossem entwickeln wird, in der Gegenwart jedoch befriedigt sie nicht, gibt einem weit weniger, als erwartet."

Aus einer mit WINTERBUCH umschriebenen Herbst-2004-Neuerscheinung der FRIEDENAUER PRESSE Berlin.
Vom Sinn eines Tagebuches. 
Montag, Oktober 25, 2004, 21:37 - BÜCHER
Wir leben auf einem laufenden Band, und es gibt keine Hoffnung, dass wir uns selber nachholen und einen Augenblick unseres Lebens verbessern können. Wir sind das Damals, auch wenn wir es verwerfen, nicht minder als das Heute -
Die Zeit verwandelt uns nicht.
Sie entfaltet uns nur.
Indem man es nicht verschweigt, sondern aufschreibt, bekennt man sich zu seinem Denken, das bestenfalls für den Augenblick und für den Standort stimmt, da es sich erzeugt. Man rechnet nicht mit der Hoffnung, dass man übermorgen, wenn man das Gegenteil denkt, klüger sei. Man ist, was man ist. Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. Schreiben heisst: sich selber lesen. Was selten ein reines Vergnügen ist; man erschrickt auf Schritt und Tritt, man hält sich für einen fröhlichen Gesellen, und wenn man sich zufällig in einer Fensterscheibe sieht, erkennt man, dass man ein Griesgram ist. Und ein Moralist, wenn man sich liest. Es lässt sich nichts machen dagegen. Wir können nur, indem wir den Zickzack unsrer jeweiligen Gedanken bezeugen und sichtbar machen, unser Wesen kennenlernen, seine Wirrnis oder seine heimliche Einheit, sein Unentrinnbares, seine Wahrheit, die wir unmittelbar nicht aussagen können, nicht von einem einzelnen Augenblick aus -.

(Max Frisch: Tagebuch 1946 - 1949; Suhrkamp)
Kleine Nachlese zu Vermeer und demzufolge auch zu A GIRL WITH A PEARL EARRING... 
Dienstag, Oktober 19, 2004, 23:13 - BÜCHER
GESCHEHEN UND GESEHEN

Der Schwamm ist ausgedrückt
Die Lehre ist erteilt
Der Fuss ist gewaschen
Die Frau ist bezahlt worden

Die Magd ist geweckt
Der Herr ist bezaubert
Der Brief ist gelesen
Die Milch ist ausgegossen worden

Der Wein ist getrunken
Die Stadt ist besichtigt
Die Strasse ist gefegt
Die Laute ist gestimmt worden

Die Partitur ist studiert
Der Verehrer ist erhört
Die Kette ist verschlossen
Die Waage ist ausgeglichen worden

Der Brief ist gelesen
Die Kanne ist entleert
Das Trio ist einstudiert
Die Musikstunde ist beendet worden

Die Perle ist abgelegt
Die Muse ist gemalt
Der Hut ist abgesetzt
Der Brief ist geschrieben worden

Der Brief ist gelesen
Der Himmel ist erforscht
Die Welt ist erkundet
Der Brief ist gelesen worden

Das Virginal ist gespielt
Der Brief ist aufgesetzt
Die Spitze ist geklöppelt
Die Gitarre ist beiseite gestellt worden

Die Schlange ist zertreten
Die Frau ist vollendet
Das Virginal ist zugeklappt
Die Vermeers sind betrachtet worden

Alle verbürgten fünfunddreissig Vermeers
sind Bild für Bild
in der Reihenfolge ihres Entstehens
betrachtet worden

(Robert Gernhardt: LICHTE GEDICHTE; Fischer Taschenbuch Verlag, 1999)
Gegenüberstellung. 
Dienstag, Oktober 19, 2004, 22:41 - BÜCHER

Wenn es stimmt, was Sigmund Freud annimmt, dass viel von unserem späteren Handeln und Verhalten in der Kindheit angelegt und bestimmt ist und viele späteren Erlebens- und Verhaltensweisen frühere wiederholen, dann scheint der Einfall, Bilder von Kindern den Bildern von diesen Kindern als Erwachsene gegenüberzustellen, besonders sinnvoll. Ein Rest bleibt ungeklärt.
(K. Königseder im Vorwort)

Fee Schlapper: GEGENÜBERSTELLUNG - Porträts über die Zeit. Edition Stemmle.
Sprachlicher Rückstand. 
Dienstag, Oktober 19, 2004, 22:17 - BÜCHER
Immer noch
sagen wir dem
was am Morgen geschieht

die Sonne geht auf

obwohl seit Kopernikus klar ist
die Sonne bleibt stehen
und
die Welt geht unter

(Franz Hohler, "Vierzig vorbei"; Gedichte; Luchterhand Literaturverlag)

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